- Haben Sie auch einen Bekannten, der jetzt Coach ist?
- Ja?
- Mehrere?
- Ja?
- Das ist ganz normal.
Die End-Alphabets-Generationen suchen im Vergleich zu ihren Vorgängergenerationen vermehrt den Sinn in ihrer Arbeit, heisst es. Sie wollen mehr Zeit für sich, müssen jetzt nicht unbedingt Karriere machen, sondern sie wollen etwas – eben – Sinnhaftes tun. Und das macht ja auch Sinn, denn in den letzten Jahrzehnten hat unser Wirtschaftssystem die immer merkwürdigeren Jobs geboren. So arbeitet man heute zum Beispiel als Head of Coordination der IT-Unterstützung für die Telefonbefragungs-Abteilung einer PR-Firma, die Werbung für eine Firma macht, die Beratungen für Krankenkassenwechsel vertreibt.
Solche Jobs nannte der 2020 verstorbene amerikanische Anthropologie-Professor David Graeber in seinem gleichnamigen Werk «Bullshit-Jobs». Sie unterscheiden sich von den Jobs, die einen direkten Nutzen für die Gesellschaft bringen – in der Krankenpflege zum Beispiel –, die aber paradoxerweise meist richtig mies bezahlt werden. Die sogenannten «Scheiss-Jobs». Graebers Worte, nicht meine.
Wenn Sie jetzt also keinen Bullshit-Job haben möchten, egal, zu welcher Generation Sie zählen, dann gibt es etwas für Sie. Sie wollen etwas tun für die Welt, haben aber keine Lust auf einen schlecht bezahlten und körperlich anstrengenden Job in Pflege, der Landwirtschaft, der Betreuung, im Bau?
Sie wollen etwas tun für die Welt, haben aber keine Lust auf eine lange und mühselige Ausbildung?
Sie posieren gerne am Seeufer im Sonnenuntergang zwischen Schilf oder auch am Laptop an einem weissen Pult, schön ausgeleuchtet neben Topfpflanzen? Sie mögen es, anderen kluge Ratschläge für ihr Leben zu geben, und Sie würden gerne künftig dafür bezahlt werden? Sie haben ein ausgeprägtes Faible für abgedroschene Kalenderweisheiten?
Dann sind Sie wie dafür gemacht: Für Coaching. Ein Coach ist sowas wie ein Influencer, einfach für Erwachsene. Neueinsteiger haben es leicht, da es kaum Hürden gibt, ein eigenes Beratungsgeschäft zu starten. Im Windschatten der Profis, der Psychologinnen und Paartherapeuten, und neben den tausenden an ehemaligen Kaderleuten, die Laufbahn-Beratungen anbieten, sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Selbstoptimierung als Geschäftsmodell. Wir alle wollen doch glücklicher sein, produktiver, selbstverwirklicht und dabei noch entspannt. «Du kannst alles erreichen, wenn du an dir arbeitest!» Und es lässt sich auch an allem arbeiten: An der Fitness und den Führungsqualitäten natürlich, aber auch der Partnerschaft, dem Auftreten und der inneren Stimme. An der Achtsamkeit, der Erziehung, der Ernährung.
Motivationscoach, Ernährungscoach und Marie-Kondo-Aufräumcoach. Coaching in Persönlichkeitsentwicklung, Meditation, Kommunikation, Selbstmanagement, Konfliktmanagement, Bachblüten-,
Hypno- oder Kinesiologie-Coaching. Coaches sind Troubleshooter und Sparringspartner, sie haben Authentizität und Personal Branding.
Was sie auch haben, ist oft eine Samstagnachmittags-Ausbildung und komplett überrissene Preise. Wahrscheinlich ein Grund, dass die meisten Coaches nach zwei Jahren wieder aufgeben, und nur ein Bruchteil auch nur im Ansatz davon leben kann.
Aber da kommt schon die nächste Ebene ins Spiel. Denn es gibt jetzt natürlich auch einen Haufen Coaches, die Coaches coachen. Sie coachen Coaches darin, erfolgreiche Coaches zu sein. Das geht dann folgendermassen: «Wir gehen in die Tiefe. Betrachten zunächst die Person mit all ihren Werten und Bedürfnissen. Wir begeben uns gemeinsam auf die Suche nach dem Big Picture, dem großen Warum. Erst dann transferieren wir diese Erkenntnisse in das operative Geschäft». Das Publikum schnappt begeistert nach Luft.
Etwas einfacher: Werden Sie Lebenscoach. Da geht es vor allem um das Leben. So allgemein. Oder Persönlichkeits-Coach. Denn wie Heidi Klum uns schon seit Jahren in ihrem überholten Format vorbetet: «Es ist Zeit für mehr Personality!» Damit kann man es weit bringen. In die Werbung von Emmi Chai Latte, ins Dschungelcamp oder an den Arm eines gut frisierten Fussballers.
Man möchte ja grundsätzlich niemandem auf die Füsse treten, der sich beruflich gerade selbst verwirklicht, doch das altruistische Getue passt meist weder mit dem Preis noch mit dem qualitativen Hintergrund dieser angebildeten Coaches zusammen (Wortneuschöpfung, angelehnt an eingebildet, ungebildet und entfernt an ausgebildet). Denn nur so als Input: Das Überwinden einer persönlichen Krise macht mich noch lange nicht zur Expertin auf diesem Gebiet. Es geht mir einfach besser. Erfreulich! Aber das wärs dann auch.
Dieser Artikel erschien am 05.05.2021 bei Kultz.