GOTT War noch nicht in Schwamendingen


Alle Fotos: Roland Schmid

Dieser Artikel erschien am 20.09.22 im Frida Magazin.

Schwamendingen. Aussteigen bei Grabmal Wüst, dann gemäss Googlemaps rechts abbiegen bei den Defibrillatoren und rein in das idyllische Quartier. Hier wohnt der Schriftsteller und Satiriker Gion Mathias Cavelty mit seiner Familie.

 

Ein paar Meter über dem Haus eine Schafweide, vor der Haustüre eine Skelett-Wackelfigur und Teile einer Schaufensterpuppe, die aus einem Stück Holz ragen. Wir werden ins Wohnzimmer gebeten.


Wir wollen mit dem Schriftsteller, Journalisten, Satiriker und Freimaurer über den Teufel sprechen. Denn Gion Mathias Cavelty taufte am 20. September in Zürich seinen neusten und neunten Roman «Lucifer». Doch Lucifer ist kein Teufel, Lucifer ist der Lichtträger. Eine Figur, die sich von Gott nichts sagen lassen wollte und deswegen aus dem Himmel verbannt wurde. «Lucifer ist ein Rebell, einer, der die Machenschaften von Gott durchschaut und ihm nicht dienen will», sagt Cavelty. Lucifer ist eine Prometheus-Figur, dem Leitsatz «non serviam» folgend, die dem Menschen Licht bringen will, anstatt sie im Dunkeln zu halten.


«Warum sollen die Menschen nicht vom Baum der Erkenntnis essen dürfen? Was soll man von einem Gott halten, der einen für dumm halten will?»


fragt Cavelty. Ist Gott ein Dilettant, ein Pfuscher? Ein Scharlatan gar, der sich für jemand anderen ausgibt? Cavelty hat sich in gnostische Lehren vertieft. Und Lucifer ist dabei eine Figur, die es ihm angetan hat. Angetan hat es ihm sowieso das Unheimliche, das Okkulte, das Düstere – schon länger.


Eigentlich seit er mit elf Jahren bei seiner Mutter im Schrank, unter vielen Hippie-Platten eine von Black Sabbath fand. Und später auch Tarotkarten, wovon er heute über 400 Set gesammelt hat. Nicht um sie zu legen, sondern um mit ihnen, immer wieder neu gemischt, Geschichten zu (er-)finden.


Lucifer sei nicht der Satan, oder das personifizierte Böse. Und er sei auch nicht der arme Teufel, der in unseren Sagen ständig von den Menschen übers Ohr gehauen wird. Ein Wesen, wie bei der Teufelsbrücke, das man überlisten kann.


Glaubt er an den Teufel? Diese Antwort würde Tage dauern, meint er.
Glaubt er an Gott? Ja.


Mit Bischof Haas auf Pilgerfahrt


Aufgewachsen ist Gion Mathias Cavelty in einem sehr katholischen Umfeld. Vor etwa fünfzehn Jahren aber ist er ausgetreten aus der Kirche. «Aufgrund der damals bekannt gewordenen Missbrauchsskandale», sagt er. Die selbst ernannten Vertreter Gottes auf Erden haben ihm die Kirche madig gemacht.


Dabei hat er als Teenager sogar als Ministrant gedient – bei niemand geringerem als Bischof Haas. Und zwar aus seinem Interesse an Gruppen heraus, die schwer zugänglich sind. Aus Interesse daran, was sich in Machtzirkeln abspielt. «Sobald man hinter die beeindruckenden Fassaden blickt, entpuppt sich alles als absurd normal und selten ernst zu nehmen.»


Das hat er auch auf einer Jugendwallfahrt mit Bischof Haas nach Tschenstochau erlebt, bei der auch der oberste Exorzist des Bistums mit dabei war. Im Pilgerbüschen wurden Howard-Carpendale-Schlager gesungen und Calanda-Bier getrunken – der Bischof nannte es «flüssiges Brot». Ein weiteres Beispiel für einen Machtzirkel, den Cavelty interessiert, sind die Hells Angels – über sie möchte er unbedingt einmal eine Reportage schreiben.

Metaller und Ministrant, Freimaurer und «Blick»-Journalist. Gion Mathias Cavelty vereint scheinbar widersprüchliche Karrieren. Und er tut das mit Konsequenz.

 

Konsequent aber ist Cavelty vor allem als Satiriker – was wohl die Grundlage aller seiner wundersamen Abenteuer darstellt. In seinem neusten Roman «Lucifer» lässt Cavelty nun die Erkenntnisse und Erfahrungen seiner zwölfjährigen Laufbahn als Freimaurer einfliessen. Er ist Hochgradfreimaurer im 32. Grad des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus, Meister des Königlichen Geheimnisses. Und ein wenig mache er sich doch Sorgen darüber, wie seine satirische Auseinandersetzung mit der Freimaurerei bei seinen «Brüdern» ankommen wird.

Als er bei deren Aufnahmeritualen – über die er selbstverständlich nichts verraten wird, ausser, dass es dunkel war – gefragt wurde, weshalb er beitreten wolle, habe er geantwortet: «Um Gott auf die Schliche zu kommen.» Das Ziel eines Satirikers müsse es sein, alles auf den Kopf zu stellen. Nicht einen Ausweg aus dem Labyrinth zu suchen, weil man damit dem Labyrinth ja eine Daseinsberechtigung geben würde, sondern den Schöpfer des Labyrinths zu demaskieren. «So, wie es die alten Gnostiker taten, auch sie glänzende Satiriker.»

«Als Satiriker darf man gar nichts ernst nehmen, und das ist manchmal auch schmerzhaft», sagt Cavelty. Man sei ständig dabei, allem den Sinn zu nehmen und den Schrecken. Und gleichzeitig auf der Suche nach etwas, worüber man sich nicht lustig machen kann.

Als Satiriker war auch der Boulevard eine Welt, die ihn reizte. «Ich wollte da mitmachen, wo das Wort mit Füssen getreten wird. Wo es aber auch eine echte Kraft entwickeln kann.» Menschen zur Weissglut bringen. Und es folgt die Geschichte, die Gion Mathias Cavelty für die Generation der Autorin dieses Artikels zur Legende macht. Denn der Artikel «Alle singen, nur das Rindsfilet bleibt stumm», den Cavelty im Oktober 2007 an seinem ersten Arbeitstag beim «Blick» schrieb, war der Auslöser dafür, dass Music Star Piero Esteriore mit dem Mercedes seiner Mutter in den Eingang des Ringiergebäudes bretterte.


Einer, der Wort werden will

Cavelty ist ein Geschichtenerzähler. Lässt man ihn, wandert man von Tanzmäusen über die Tempelritter und landet beim Wort an sich. Cavelty spricht leidenschaftlich gerne über Wörter. Noch viel mehr als über das Licht und den Teufel. Über das verlorene Wort, das getretene Wort. Er will Wort werden, tätowiert sich seit einigen Jahren Geschichten und Zitate – «non serviam» oder Moby Dick – auf Hände und Oberkörper. Verhüllt ist dieser passend von einem grauen Hemd, übersäht von Worten. Konsequent.

Die Geschichte, die er nun veröffentlicht hat, ist die von Ard de Saint Martin, Tempelritter im 12. Jahrhundert. Eine Geschichte «haarsträubend und komisch; tatsächlich aber auch tiefgehend und horizonterweiternd», die Beschreibung hört sich vielversprechend an und die ersten Seiten lesen sich ebenso.

Trotz all dem Licht finden sich im Wohnzimmer von Cavelty und seiner Familie ganze Reihen von Teufeln. Skulpturen und Figürchen. Klassisch fies Grinsende in rot, Dreiäugige in hellblauen Anzügen, versteckte in Art-brut. Bilder von H.R Giger – ein Teufel mit geschwungenen roten Hörnern.

Mit den Worten «Ich glaube ja nicht an Horoskope – aber ich bin Widder, und im Aszendenten Jungfrau», führt Cavelty uns in seine astrologische Selbsterkenntnis ein. Als Widder wolle er stets mit dem Kopf durch die Wand, als Jungfrau jedoch bloss kein Loch dabei machen. Wahrscheinlich habe er deshalb die Worte als Werkzeug gewählt. Und doch hat er es auch damit schon geschafft, in der realen Welt für Löcher zu sorgen. Oder zumindest für splitternde Glastüren.

Von seinem Desktop blickt uns nun eine schwarze, kleine Kreatur entgegen. Nackt, mit grossen Ohren und grossen, dunklen Augen.

Es ist ein Mexikanischer Nackthund, den er, seine Frau und Tochter vielleicht bald bei sich aufnehmen werden. Eigentlich wolle er das gar nicht, sei zu faul für einen Hund. Argument um Argument bringt er gegen das Haustier vor, blickt dann zurück auf den Bildschirm und scheint dem dunklen Wesen wieder zu verfallen.