Wer Rettet gundula?


Dieser Text erschien bei zentralplus am 09.10.2022
Fotos: Jana Avanzini

Es ist ein seltsames Gefühl, das Gelände zu betreten. Ein fast beklemmendes, auf die Veranda zu steigen und durch die Balkontüre in das Haus hinein.

 

Als ich es vor sechs Jahren betrat, war das Haus voller Gelächter, Musik, und Gerüchen von Essen.

 

Jetzt riecht es dumpf und muffig. Ungesund. Vorsichtig setze ich die Füsse voreinander, gehe nahe an den Wänden, nur der Flur und das hölzerne Treppenhaus sind noch betretbar. Die Parkettböden in den Zimmern sind eingebrochen, die Wände scheinen nur noch mit Mühe auf den Stahlträgern zu balancieren. Und an der Decke wird der Stuck vom Schimmel gefressen.

 

Es ist die Villa an der Obergrundstrasse 99 – in Luzern aufgrund der ehemaligen Besetzergruppe unter «Gundula» bekannt, oder als «Bodum-Villa», nach dem Ex-Besitzer.

 

Das Haus ist dabei zusammenzufallen. Das sagt auch Markus Romano, Inhaber von Romano & Christen, der schon wieder auf die Veranda getreten ist.

 

Sein Unternehmen hat das Gebäude im Jahr 2020 gekauft. Als sie jedoch im selben Jahr Abdichtungsarbeiten am lecken Dach vornehmen wollten, stoppte die Suva die Arbeiten notfallmässig – aus Sicherheitsgründen. Die Fassade steht zwar noch relativ stabil da, trotz eindeutiger Schäden, doch das Innere des Gebäudes und das Dach sind massiv einsturzgefährdet.

 

Zerstörung mit Absicht

 

Um in den Keller zu kommen, wo im Jahr 2016 zwei junge Frauen meinen Teller zum Abwasch entgegennahmen, müsste man erst klettern und dann kriechen. Ich lasse es sein, hier von herabstürzenden Balken diese Hauses begraben zu werden, das wäre zu zynisch – angesichts unsere gemeinsamen Geschichte. Ich erinnere mich daran, in diesem Keller den Schachbrett-Plattenboden bewundert zu haben. Oben den Parkett, den Kamin, den Stuck.

 

Gerne wird moniert, das Haus sei selbstverständlich in schlechtem Zustand, sei es doch zweimal besetzt worden. Eine Aussage, die die Zerstörung durch die Aktivistinnen impliziert, die im Jahr 2016 die Böden putzten, wenn Bier auf den Parkett spritzte, oder den Boden in der herausgerissenen Küche ausbesserten, um darin auf notdürftig zusammengezimmertem Mobiliar zu kochen.

 

Grund für den miserablen Zustand des Hauses – das ist klar, verfolgt man die Geschichte des Gebäudes – ist das Dach, das vor über fünf Jahren im Rahmen einer «Asbestsanierung» abgedeckt wurde. Nach dem Abtragen der Ziegel wurden ein paar Plastikplanen notdürftig als Schutz befestigt. Diese lösten sich bald und seither regnet und schneit es durch den Dachboden ins ganze Haus.

 

Im Artikel 141 des kantonalen Planungs- und Baugesetzes heisst es zwar: «Bauten und Anlagen und ihre Umgebung sind zur Wahrung eines schutzwürdigen Orts- und Landschaftsbildes in gutem Zustand zu erhalten.» Wird dies nicht eingehalten, gibt es jedoch keine Konsequenzen.

 

Die Villa an der Obergrundstrasse 99 steht in der sogenannten Ortsbildschutzzone B, sie ist Teil eines schützenswerten Ensembles von Bauten aus der Jugend- oder Heimatstilepoche. Die Obergrund-Villen sind zudem im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder eingetragen – in der obersten Kategorie. Das heisst, ein Abbruch ist verboten, ausser es würden übergeordnete Interessen dafür sprechen. Oder die Sanierungskosten wären unverhältnismässig.

 

Rettung in Sicht?

 

Als die neuen Besitzer 2020 übernahmen, blieb offen, ob eine Instandstellung der Villa überhaupt noch möglich sein würde. Romano und Christen jedoch betonten: Man würde beide Optionen prüfen.

Nun stehen die Pläne für die Obergrundstrasse 99: eine Sanierung mit Neubauergänzung. Die jetzige Sandsteinvilla soll dabei als Kopf des Gebäudes, als optisch dominierendes «Mutterhaus» erhalten bleiben. Ein «zurückhaltender» Anbau auf Seiten der Villenstrasse im Stil des jetzigen Balkonanbaus erstellt werden. «Villa Ryser» soll sie dann heissen, benannt nach dem Bauherrn Fridolin Ryser.

 

Bestimmt zwei Drittel der Substanz müsse dafür ersetzt werden, sagt Markus Romano. Der Rest der Fassade sei auszutrocknen und in Stand zu stellen.

 

Der Aufwand sei enorm, und die Kosten massiv höher als für einen Neubau. Ein Neubau hätte bis zu 30 Prozent mehr Fläche gebracht, zudem sehr viel weniger gekostet. Doch bei der Entscheidung hätten viele Emotionen eine Rolle gespielt.

 

 

Nächste Schritte

 

Die Pläne werden voraussichtlich im November mit der Stadt konkret besprochen, der Stadtbaukommission vorgestellt. Die Gespräche verlaufen konstruktiv, heisst es auf beiden Seiten, es sieht aus, als würde bald ein Ausführungsprojekt in Angriff genommen werden können.

 

Die Arbeiten an der Villenstrasse 1, dem Nachbargebäude der Obergrundstrasse 99, laufen bereits. Aktuell werden in der ebenfalls ehemals besetzten «Villa Toscana» Sandsteinarbeiten ausgeführt, weitere Arbeiten warten noch auf eine Bewilligung.

 

Wir bleiben dran.